Inhalt
0. Präambel
1. Selen in der Nahrung
2. Der Selen-Stoffwechsel
3. Wie kommt Selen in Hundenahrung?
4. Wie viel Selen ist drin in Lebens- und Futtermitteln?
5. Wie viel Selen sollte Hund aufnehmen?
6. Hannes isst Nieren – ein einfaches Rechenmodell
7. Fazit
0. Präambel
Dieser Artikel ist die Antwort auf einen Kommentar in einer nächtlichen Gruppendiskussion, in dem es hieß, dass es unverantwortlich bis gefährlich sei, einen Futterrechner ohne Berücksichtigung von Selen an sich und der unterschiedlichen Bioverfügbarkeit von organischem und anorganischem Selen zu veröffentlichen.
Leider konnte ich die Diskussion in der Gruppe nicht weiter führen, da die bloße kostenlose Existenz von Hannes seinem Futterrechner neben dem kostenpflichtigen in der Gruppe propagierten und von den Gruppenbetreibern vertriebenen zu meinem Rauswurf aus der Gruppe geführt hat.
Tatsächlich war die Nichtberücksichtigung von Selen in Hannes Seinem Futterrechner bis vor 10 Tagen allein der Nichtverfügbarekeit von Daten geschuldet. Nun habe ich mir ein umfassendes Bild gemacht und komme zu dem Schluß, dass es völlig sinnfrei ist, Selen bei der Berechnung der Versorgungslage des Hundes aus Fertigfutter oder selbst bereiteter Nahrung einzubeziehen.
1. Selen in der Nahrung
Selen ist ein Element, das sowohl Mensch als auch Hund in Spuren mit der Nahrung aufnehmen müssen. Es dient als Bestandteil von antioxidativ wirkenden Enzymen (Glutathion-Peroxidasen) und ist somit wichtiger Bestandteil des Immunsystems und in fast allen Zellen zu finden. Andere Selen abhängige Enzyme regulieren den Haushalt der Schilddrüsenhormone (Dejodinasen). In spezifischen Selenoproteinen verbautes Selen ist in Transportmechanismen tätig, bindet Schwermetalle oder ist Baustein von Spermien.
Kann der Organismus mangels Selen weniger als die benötigte Menge Enzyme bzw. Selenoproteine herstellen, entwickelt sich ein Mangel. Wird dem Körper mehr Selen zugeführt als er benötigt, kann es zu Vergiftungen kommen. Der Grat zwischen angemessener und toxischer Selenzufuhr ist – im Vergleich zu anderen Spurenelementen – sehr schmal.
Anzeichen von Selenmangel bei Hunden sind Muskelschwäche, Appetitlosigkeit, subkutanes Ödem, Kurzatmigkeit, Koma, Muskeldegeneration und Nierenmineralisierung. Selenvergiftungen bei Hunden könnten sich äußern durch Nahrungsverweigerung, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Angstzustände, Hecheln, Herz-Kreislauf-Veränderungen, Nervenstörungen, pathologische Läsionen, insbesondere in Leber und Milz. Darüber hinaus sind Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes, Gelenkerkrankungen und Harnsteine im Umfeld von Selen-Fehlversorgungen berichtet worden.
Jeder Leser erkennt sofort die hochspezifischen Symptome, nicht wahr?
Schwere Vergiftungen können zum Tod führen – es sind jedoch keine klinischen Fälle von Hunden mit Selenvergiftungen bekannt.
2. Der Selen-Stoffwechsel
Selen kommt in der Nahrung in vier verschiedenen Ausführungen daher: Organisch als Selenomethionin oder Selenocystein und anorganisch als Selenit oder Selenat. In pflanzlichen Nahrungsmitteln liegt Selen fast ausschließlich in Form von Selenomethionin und in tierischen Nahrungsmitteln hauptsächlich als Selenocystein vor.
Nun gibt es für das Selen verschiedene Wege durch den Körper. Generell ist dies bei Monogastriern gleichartig. D.h. bei Mensch, Hund, Ratte verläuft dies ähnlich – bei Rind, Schaf, Lama anders:
Quelle: Selenium in Dog Foods, S.29
Zunächst muss das Selen aus der Nahrung so herausgelöst werden, dass es die Bürstensaummembran des Darms passieren und in den Körper gelangen kann. Für organisches Selen und Selenat gibt es aktive Natrium-abhängige Transportmechanismen, wo sich das Selen aber in Konkurrenz zum Transport von neutralen Aminosäuren bzw. Schwefel befindet, während Selenit passiv transportiert wird und zu nicht unerheblichem Teil im Bürstensaum des Darms hängen bleiben kann oder über die Bildung von Glutathion-Komplexen doch noch durchflutscht. Alles, was aus dem Darm in den Organismus aufgenommen wird, gilt erst mal bioverfügbar. Selenit hat also eine geringere Bioverfügbarkeit.
Das in den Körper transportierte Selen gelangt recht schnell in den Blutkreislauf und wird hauptsächlich in der Leber weiter verarbeitet. Auf dem Weg dahin wird das pflanzliche Selenomethionin schon mal teilweise von anderen Zellen abgegriffen, die diesen Stoff wie Methionin unspezifisch in diverse Proteine einbauen und somit der enzymatischen Aktivität entziehen. Das verbleibende Selenomethionin kann zu Selenocsytein weiter verarbeitet oder über die Niere ausgeschieden werden. Auch Selenat kann in der Leber zu Selenit reduziert oder direkt ausgeschieden werden.
Nur der Teil von Selenit und Selenocystein, der über Hydrogen-Selenide die Niere erreicht und dort in spezifische Selenoproteine eingebaut wird, ist biologisch aktiv, kann zu Enzymen verarbeitet werden und ist relevant für den Körper. Während Selenit zwar eine geringere Bioverfügbarkeit aufweist, ist die Bioaktivität von Selenit höher als die von Selenocystein.
Der Teil von Selen, der weder als unspezifisches Selenomethionin (ca. 28-46% im Menschen) verbaut wird noch zu spezifischen Selenoproteinen synthetisiert wird, verlässt den Körper wieder. Und zwar fast ausschlielich über die Niere in den Harn.
Was verbleibt, konzentriert sich bis zur Nutzung bzw. Ausscheidung in der Niere oder in der Leber. So findet sich im Menschen ca. 51µg/g Selen im Muskelgewebe und 470µg/g Selen im Nierengewebe. Im Hund finden sich Speicher in Leber und Niere. Es hat sich gezeigt, dass Hündinnen in diesen Organen eine deutlich höhere Konzentration an Selen aufweisen als Rüden. Ferner ist erkennbar, dass erwachsene Hunde zwischen 4 und 10 Jahren eine höhere Konzentration an Selen aufweisen. Man erkennt sehr deutlich die enorme Bandbreite der Werte.
Se in µg/kg | Leber | Nierenrinde | Nierenmark |
Gesamt (n=50) | 426 (98,4-1.909) | 627 (140-3.102) | 196 (72,2-2.482) |
Rüden (n=23) | 258 (106-1.234) | 531 (173-1.647) | 163 (72,2-1.032) |
Hündinnen (n=26) | 634 (98,4-1.909) | 933 (140-3.102) | 334 (80,6-2.482) |
Alter: | |||
0-1 (n=10) | 502 (98,4-1.166) | 481 (173-1.377) | 174 (7,2-803) |
1,5-4 (n=10) | 245 (172-1.022) | 453 (307-1.070) | 120 (80,6-733) |
4,5-7 (n=10) | 640 (166-1.909) | 933 (404-3.102) | 383 (120-2.482) |
7,5-10 (n=13) | 625 (139-1.148) | 857 (140-1.557) | 326 (107-839) |
>10,5 (n=7) | 245 (191-1.243) | 435 (335-1.471) | 180 (112-826) |
CNI | |||
ohne CNI (n=42) | 426 (98,4-1.909) | 564 (173-3.102) | 187 (72,2-2.482) |
mit CNI (n=8) | 465 (166-837) | 749 (140-1.518) | 313 (107-832) |
Wir lernen: Die Bioverfügbarkeit von Selen ist unerheblich – relevant ist die Bioaktivität.
Wer mehr über die unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten und Bioaktivitäten von Selen im Hundefutter in Form von rohem und gegartem Fleisch, Trocken- und Dosenfutter wissen möchte, dem sei die Doktorarbeit Selenium in Dog Foods von M. van Zelst, Gent, 2015 ans Herz gelegt.
Wer den Stand der Forschung zur Bioverfügbarkeit im Rahmen der Risikobewertung von Selen genauer erkunden möchte, dem sei der verlinkte Tagungsband vom BfR-Symposium, 16. – 18. Januar 2013, empfohlen.
3. Wie kommt Selen in Hundenahrung?
Pflanzen nehmen Selen aus dem Boden auf, Wild- und Nutz-Tiere fressen die Pflanzen mitsamt dem aufgenommenen Selen und wir füttern das dann den Hunden. Sowohl tierische als auch pflanzliche Komponenten. Sowohl roh als auch gekocht oder zu Fertigfutter verarbeitet.
Nun kommt Selen weltweit in sehr unterschiedlichen Konzentrationen im Boden vor, wie das Titelbild zeigt. Demnach ist Europa anscheinend überwiegend kein Mangelland – dennoch nehmen die Pflanzen in Europa problematisch geringe Mengen auf. Also sind offensichtlich neben dem Selengehalt an sich auch die unterschiedlichen Klima- und weitere Bodenbedingungen für die Bioverfügbarkeit von Selen für Pflanzen ausschlaggebend (wobei Pflanzen an sich nicht mal Selen benötigen).
In manchen selenarmen Gebieten werden dem Boden selenathaltige Düngemittel zugeführt, z. B. in Finnland seit 1984. Um eine Mangelversorgung der Bevölkerung zu vermeiden, darf dem Futter von Schlachttieren Selenit oder Selenat zugesetzt werden. Und natürlich auch Milchkühen. In Abhängigkeit vom natürlichen Selengehalt des Bodens und der Zugabe von Selen zum Kunstdünger und zu Futtermitteln, enthalten Nahrungsmittel regional und saisonal unterschiedliche Mengen an Selen. Im Vergleich zu anderen Ländern enthalten die Lebensmittel aus der Bundesrepublik Deutschland insgesamt eher niedrige Selengehalte. Auch die Warenströme beeinflussen die Selenversorgung erheblich. In Großbritannien ist es beispielsweise zu einem Rückgang der Selenversorgung der Gesamtbevölkerung gekommen, als weniger selenreiches Getreide aus Nordamerika importiert wurde.
Was Selen-armes regionales Grund-Futter im Rind anrichten kann, zeigt der Raiffeisenverband ziemlich drastisch in einer Präsentation aus 2010:
Futter-Selen-Gehalt für Rinder: < 0,1mg/kg = akuter Selenmangel; > 0,5mg/kg = chronische Überversorgung! Fotos von akutem Mangel.
Ähnliche Phänomene sind mir in der Hundefutter-Literatur bezüglich Hunde noch nicht begegnet. Falls jemand Fallstudien hat, bitte gerne in die Kommentare!
In solchen Regionen/Situationen muss der Bauer handeln. Trotz wirklich vieler technischer und stofflicher Möglichkeiten in der heutigen (2016) Landwirtschaft und Massentierhaltung bleibt das Thema komplex:
- Man kann den Boden mit Selen düngen – mit wenigen Gramm Selen pro Hektar – und erreicht dennoch nur schwer eine stabile Selenversorgung im Grundfutter für die Kühe.
- Man kann die Rinder mit Kraftfutter inkl. Selen im Mineralienanteil füttern – funktioniert prima in der Massentierhaltung.
- Man kann Weiderindern selenhaltige Lecksteine anbieten – die werden von den einzelnen Rindern unterschiedlich genutzt und es kann nicht sicher gestellt werden, dass jedes Rind ausreichend und nicht übermäßig versorgt wird.
- Man kann Weiderindern selenhaltige Boli als Depot in den Pansen implementieren. Dumm nur, wenn so ein Bolus-Pansen in den Futternapf des Hundes gelangen würde.
Was Geflügelbauern oder gar frei lebendes Wild in solchen – auch bundesdeutschen – Regionen machen? Keine Ahnung! Wenn jemand dazu etwas weiß: Bitte gern in die Kommentare!
Was empfiehlt die DGE denn den Menschen zur Selenversorgung? Richtig! Tierische Produkte, weil in Pflanzen nur wenig Selen drin ist und gehofft wird, dass die Bauern das mit ihren tierischen Produkten schon hinkriegen…
Die Fertigfutter-Hersteller fügen dem Hundefutter halt Selen – hauptsächlich als Selenit – hinzu. Da könnte dann theoretisch schon mal eine Überversorgung eintreten, wenn die nativen Gehalte schon mehr als ausreichend sind. Dennoch sind wie bereits erwähnt, keine klinischen Selen-Vergiftungsfälle in Hunden bekannt.
4. Wie viel Selen ist drin in Lebens- und Futtermitteln?
Man weiß es nicht!
Der Bundeslebensmittelschlüssel, die Österreichische Nährwerttabelle sowie die Schweizerischeweisen Selen gar nicht (mehr) aus, weil die Werte einfach zu stark schwanken, um belastbare Selen-Konzentrationen zu ermitteln.
Unsere bundesdeutschen Nachbarn sind da nicht so zimperlich, sofern sie ihre Nahrungsmitteldaten überhaupt öffentlich stellen. Als da wären: Dänemark, Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande. Wenn gar nichts mehr geht, zieht man ja gern die allwissende US-amerikanische Datenbank hinzu. Dann schau’n wir mal über den Tellerrand nach Lebensmitteltabellen der bundesdeutschen Nachbarländer:
vorhanden | öffentlich | Selen | Link | |
Dänemark | x | x | x | frida fooddata |
Polen | x | – | ? | Food Composition Data Base |
Tschechien | x | x | – | Nutridatabze |
Österreich | x | x | – | ÖNWT |
Schweiz | x | x | – | Nährwertdatenbank |
Frankreich | x | x | x | ciqual |
Luxemburg | – | – | – | – |
Belgien | x | – | ? | nubel |
Niederlande | x | x | x | nevo |
USA | x | x | x | FoodDataCentral |
Immerhin. Drei von neun Nachbarländern betreiben eine Lebensmitteldatenbank, die öffentlich zugängliche Daten inklusive Selengehalte in der Nahrung vorhalten: Dänemark, Frankreich und die Niederlande. Und die USA.
Dann schauen wir mal rein. Bei den Holländern kann man nur nach Lebensmittelnamen suchen, nicht nach Nährstoffgehalten. Schauen wir uns also erst mal die Top-Listen an Selen-Gehalten in Dänemark, Frankreich und den USA sowie die Rinderleber der Niederlande an:
Top selenhaltige Lebensmittel v.l.n.r.: Dänemark, Frankreich, USA – unten Rinderleber Niederlande
Die dänische Rinderniere enthält 123 µg Selen pro 100 g, die französische 118, die holländische150 und die US-amerikanische 141. Das kann man jetzt glauben oder nicht. Die Franzosen geben immerhin einen Vertrauenscode an, der liegt bei A. Und eine Bandbreite der Werte: Zwischen 42,5 und 173µg.
Nur am Rande: Die berühmt-berüchtigte Paranuss (Brazil nut) enthält bei den US-Amerikanern fast 2 mg Selen, während sie in Frankreich und Dänemark nur 103µg Selen pro 100g enthält.
Man glaubt es nicht? Es gibt Details über die Datenherkunft:
Quellen für Selengehalt in Rindernieren bei den Dänen (links), den Franzosen (rechts oben), den Holländern (rechts Mitte) und den Amerikanern (rechts unten)
Die Dänen haben offensichtlich in den späten 90er Jahren ein amtliches mehrjähriges Überwachungsprogramm für Spurenelemente durchgeführt und dabei u.a. den Selengehalt in 87 Rindernieren-Proben untersucht. Die ermittelte Bandbreite kennen wir schon von den Franzosen, die haben mehr als 10 Jahre später die Dänischen Werte übernommen und in 2010 mit eigenen Werten ergänzt. Die Holländer haben die Britischen Daten von 1995 übernommen, während die Amerikaner sie in 2003 aus unbenannter Quelle hergeleitet haben.
Übrigens wurde in Dänemark im selben Zusammenhang auch die Kalbsniere untersucht: Aus 127 Proben wurde ein Durchschnittswert von 120µg ermittelt – bei einer Bandbreite von 20,7 bis 271,5µg! Auch interessant: Die Lamm-Niere in den USA enthält 126,9 µg Selen mit einer Standardabweichung von 5,1 aus 16 Datenpunkten von 1992 – hingegen enthält dieselbe Lammniere 0,446 mg Kupfer bei einer Standardabweichung von 0,016 aus 519 (!) Datenpunkten von 1989.
Wir lernen: Die Selen-Werte streuen nicht nur erheblich, sie sind auch schon 10-30 Jahre alt. Wenn man sich überlegt, wie sehr sich Landwirtschaft, Lebens- und Futtermittel und Warenströme in den letzten 10-30 Jahren weiter entwickelt haben, sollte man sich schon fragen, ob es überhaupt belastbare Daten zum natürlichen Selengehalt in derzeit verfügbaren Datenwerken gibt.
Tipp für Selberrechner:
Die Dänische Lebensmitteldatenbank enthält auch Werte für verschiedene Schwermetalle – das kann gelegentlich sehr erhellend sein, vor allem bei Sea-Food! https://frida.fooddata.dk
5. Wie viel Selen sollte Hund aufnehmen?
Für Welpen bzw. Hunde im Wachstum gibt es forschungsbasierte Selen-Zufuhr-Empfehlungen von NRC und FEDIAF. Für den erwachsenen Hund gibt es keine Bedarfswerte. Hilfsweise leitet der NRC Schätzwerte aus Welpenbedarfen und die FEDIAF aus Katzenbaby-Bedarfen ab.
FEDIAF Nutritional Guidelines 2018, S.26
Umgerechnet auf den handelsüblichen 30kg-Hund sollten nach FEDIAF täglich durchschnittlich 106µg (mindestens) und nach NRC 151µg Selen aufgenommen werden.
Selenzufuhr-Empfehlungen von FEDIAF und NRC, Stand 2015
Zum Vergleich: Für den durchschnittlichen erwachsenen Mann empfiehlt die DGE täglich 70µg und für die Frau 60µg. Zur Verhütung von offensichtlichen Selenmangelzuständen reicht vermutlich bereits eine Selenzufuhr von 20 μg/Tag für einen 70 kg schweren Erwachsenen aus. Der minimale Selenbedarf für den Menschen wurde mittels einer Supplementierung von Selen in der extrem selenarmen Keshan-Region in China bestimmt, indem bei Patienten mit Selenmangel die Sättigung der Plasma-Gluthationperoxidase unter ansteigender Dosierung mit Selen gemessen wurde. Es wurde festgestellt, dass 20 μg/Tag das Auftreten der Keshan-Krankheit verhindern können und dass bei 40 μg/Tag die Enzymaktiviät maximiert war.
Als sichere Höchstgrenze für Menschen gilt 400µg/Tag und ab 900µg/Tag wird es als toxisch angesehen. Für Hunde gibt es keine bekannten “Safe Upper-Limit”-Werte oder toxische Grenzen bzgl. Selen.
Stattdessen gibt es EU-weite gesetzliche Höchstwerte für den Selen- Zusatz zu Futtermitteln. Diese gilt für alle Tierarten vom Meerschweinchen bis zum Rind. Natrium-Selenit bzw. Selenat darf maximal in Konzentrationen von 0,5mg / kg des Futters bei einem Trockenmasse-Anteil von 88% zugesetzt werden. Für den Zusatz von organischem Selen sind sogar nur 0,2mg / kg bei 12% Feuchte erlaubt. Das entspricht 56,8µg bzw. 22,73µg pro 100g Trockenmasse.
Sähe man diesen gesetzlichen Höchstwert für den Zusatz von anorganischem Selen gleichzeitig als Gesamt-Grenzwert an, so läge die Ober-Grenze beim 1,6fachen Mindestwert der FEDIAFoder beim 1,14 fachen Empfehlungswert der NRC. Bezogen auf den 30kg-Hund wären das wie gesagt 106µg mindestens, besser 151µg und maximal 171µg Selen pro Tag. Ein sehr schmaler Grat! Wie schmal er wirklich ist, wissen wir nicht. Aber er ist schon breiter, als die gesetzliche Höchstgrenze.
Dass die gesetzlichen Obergrenzen für Selen-Zusätze für alle Tierarten vom Meerschweinchen bis zum Rind nichts mit einer sicheren Höchstgrenze für die Selen-Aufnahme für Hunde zu tun hat, kann man am maximal erlaubten Zusatz von organischem Selen ablesen: Es dürften überhaupt nur 65% der mindestens empfohlenen Tagesdosis supplementiert werden. Bezogen auf den 30kg-Hund wären das wie gesagt 106µg mindestens, besser 151µg pro Tag – aber davon maximal 68µg organischer Selenzusatz pro Tag.
Für die Menschen-Frau beträgt der Grat zwischen empfohlenen 60µg und der als sicher erachteten Höchstgrenze von 400µg immerhin das 6,7fache der empfohlenen Tagesdosis. Bis zur toxischen Dosis von 900µg ist der Grat sogar 15 empfohlene Tagesdosen breit. Und berücksichtigt man noch den Sicherheitszuschlag zwischen der physiologischen Mindestmenge von 20µg und der empfohlenen Tagesdosis von 60µg, ist die folgenlose Bandbreite der Selenzufuhr noch breiter.
Man kann also beruhigt davon ausgehen, dass die gesetzlichen Höchstgrenzen für Selen-Zusätze in der allgemeinen Tierfütterung überhaupt nichts mit der Ernährungsphysiologie der Hunde zu tun haben.
Untersuchungen haben gezeigt,
- dass Hunde einerseits durchaus mit weniger oder sehr viel mehr Selen gesund bleiben als die FEDIAF-Empfehlung bzw. die gesetzlichen Höchstwerte glauben machen.
- dass auch Hundefutter mit Selenzusatz bereits in den Zutaten erhebliche Mengen natürliches Selen enthalten.
Selengehalt in 18 kommerziellen Trockenfuttern.
Schwarz ist der native Selengehalt in den Zutaten, weiß der zugesetzte Teil.
Die untere Linie ist die „Bedarfs“-Linie, die obere der gesetzliche Höchstwert.
6. Hannes isst Nieren – ein einfaches Rechenmodell
Was käme also selenotechnisch heraus, wenn Hannes dänische Rindernieren bekäme? Die selenärmste Variante enthält 42,5µg, die Durchschnittsniere 123µg und die Selenbombe 172,5µg pro 100g. Ich nehme mal realitätsfern an, dass er sonst keine selenhaltige Nahrung bekommt. Bei je 100g / Tag wäre sein Selenbedarf mit der Durchschnittsniere bereits gedeckt. Selbst die Selenbombe “kratzt” nur leicht an der gesetzlichen Höchstgrenze. Von der selenarmen Variante könnte er täglich bis zu 400g futtern.
Hannes würde nach BARF-Classic -Aufteilung mit seinen 30kg täglich durchschnittlich 420g Fleisch und Co bekommen. Davon 70g Innereien. Davon vielleicht 35g Nieren vom Rind. Damit bringe ich den Hund nicht durch Selenvergiftung um. Selbst wenn ich wüsste, dass ich die “Selenbombe” statt der Durchschnittsniere verfüttere. Und nicht einmal mit der noch bombigeren Dänischen Extrem-Kalbsniere. Nicht mal die Verfütterung einer ganzen Wochenration einer dänischen extrem-Kalbsniere in einer einzelnen Mahlzeit würde den Hund zu Boden strecken. Auch nicht, wenn ich jede Woche eine solche Selenorgie veranstalte.
Wahrscheinlich würde ich eher tot umfallen, wenn ich mir täglich 60 Stück Paranuss einwürfe…
7. Fazit
Es gibt keine belastbaren Zahlen-Werte zu Selen in der Hundeernährung. Jegliches Gerechne zum Thema Selen ist angesichts der Datenlage völlig sinnfrei.
Keine validen Bedarfszahlen, kein Safe Upper Limit, keine verlässlichen Gehaltsdaten in Lebensmitteln und nur Angaben über zugesetztes Selen in Fertigfuttern. Da muss man erst recht nicht noch über unterschiedliche Bioverfügbarkeiten von organischen und anorganischen Selenzusätzen im Fertigfutter bzw. im BARF-Fleisch diskutieren, um Bedarfswerte der Futterindustrie zu relativieren.
Der beste Weg, die Selen-Versorgungslage des Hundes zu bestimmen, geht über das Blutbild:
Selengehalt Einheit = umol/l Referenzbereich = 1,3 – 2,5
Erhöhung = Vergiftung, Arzneimittel, Se-Speicherpflanze
Erniedrigung = Weißmuskelerkrankung, ernährungsbedingte Myopathien
Alles andere ist Nonsens.
Bildquelle Titelbild: Horizonte-Magazin
Hallo Bettina,
da ich mich grade mit Selen beschäftige … es gibt eine aktuelle Review (Februar 21) die toxische und letale Werte verschiedener Studien aufführt.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7915357/
Interessanterweise heißt es bei Zentek, dass es nach monatelanger Gabe von 6 µg pro kg KM zu Intoxikationen kam, das lese ich aus der Review aber gerade nicht raus.
Gruß Eva
Wie krass gut ist das denn! Endlich mal was richtig Informatives, differenziert Recherchiertes und nachvollziehbar Aufgedröseltes zum Thema Selen. Danke!!!!